Unsere Originale

Neujahrsgrüße von Erhard

Ein Brief des Wirtschaftsministers und Vizekanzlers zu Silvester 1957
Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und andere stoßen mit Sektgläsern an.

Am 31. Dezember 1958 griff Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard zur Feder, um Neujahrsgrüße an Kanzler Adenauer in Bonn zu verfassen. Was er in der Abgeschiedenheit seines Bungalows am Tegernsee niederschrieb, war allerdings weit entfernt von den üblichen Floskeln, die bei solchen Anlässen normalerweise ausgetauscht wurden. Es habe „kaum“ je einen „Menschen in meinem Leben“ gegeben, so bekannte Erhard, mit dem er sich „so schicksalshaft verkettet fühlte wie mit Ihnen“. Dennoch habe er sich während der Feiertage mit Rücktrittsgedanken getragen, weil es ihm „unerträglich“ erschien, „ohne mir erwiesenes Vertrauen meine Arbeit zu leisten.“

Dieser erregte Tonfall war in der Adenauer-Erhard-Korrespondenz keineswegs neu. Auf den ersten Blick ergänzen sich beide Politiker ideal: Adenauer als Garant außenpolitischer Erfolge und inneren Friedens, Erhard als Verkörperung des „Wirtschaftswunders“ – dieses Gespann blieb auf lange Zeit unschlagbar. Hinter den Kulissen knirschte es freilich oft. Während Adenauer in wirtschaftspolitischen Fragen zum pragmatischen Urteil neigte, pochte Erhard gerne aufs Prinzip. In der Außen- und Europapolitik gingen sie zusehends getrennte Wege. Endgültig zerrüttet wurde das Verhältnis im „Kampf ums Kanzleramt“, der schließlich 1963 in Adenauers Ablösung durch Erhard endete. 

Davon lag zum Jahreswechsel 1958 noch manches in der Zukunft. Rückblickend wirkt Erhards Schreiben aber fast schon wie ein Abgesang. So tragisch das Zerwürfnis des einstigen Erfolgsduos auch anmutet, sollten seine gemeinsamen Erfolge und Verdienste darüber nicht in Vergessenheit geraten.